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September
Nachdenkliches
Kann man auf einem Hund reiten?
Dieser Monat September ist seit vielen Jahren unser Reisemonat in die USA. Diesmal wollen wir fast 6 Wochen dort verbringen, so lange wie noch nie zuvor. Meine Nachbarn, die auch sehr gerne einen Hund hätten, besonders, seitdem sie Balu kennen gelernt haben, erklären sich freundlicherweise bereit, Balu in dieser Zeit zu übernehmen. Auf diese Weise wollen sie selbst austesten, wie es sich mit einem Hund im Hause lebt. Die Kinder sind 5 und 8 Jahre alt und lieben Balu, seitdem sie ihn das erste Mal gesehen haben und spielen auch wunderbar zusammen. Deshalb liebt Balu sie genauso und beginnt schon zu weinen, sobald er die hellen Stimmen der Mädchen nur hört. Meine Nachbarin ist sehr verständig mit Balu, war sie doch auch mit einem Hund groß geworden, und sie vermittelte dieses Verständnis auch ihren Mädchen. Ich hatte also keine Bedenken, ihr Balu zu überlassen. Doch leider passiert nun nach wenigen Wochen etwas, mit dem niemand gerechnet hatte, -auch ich nicht. Die jüngste Tochter ist ein lebhaftes Mädchen, die gerne immer alles ausprobiert, leider eben auch das, was ihr verboten wurde. So hatte sie schon einmal in meinem Beisein versucht, auf Balu zu reiten, und ich hatte ihr damals erklärt, warum das nicht geht, dass sein Rücken dafür zu schwach ist und ihm das große Schmerzen bereiten würde. Ausgerechnet am Geburtstag der großen Schwester mußte sie das nun doch allein ausprobieren, als alle anderen nicht auf sie achteten. Balu befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Ecke des Hauses, die die Erwachsenen nicht einsehen konnten. Auf einmal hörten meine Nachbarn ein merkwürdiges Aufjaulen und Schnappen Balus und kurz darauf das laute Heulen ihrer Tochter, die sie mit dem Kopf voller Blut vorfanden. Ein Schock für alle, und alle, auch der sofort herbeigerufene Arzt sprachen nur davon, dass dieser böse Hund sofort weg müsste. Ich bin nur froh, dass meine Nachbarin sehr vernünftig reagiert hat und deutlich sagte, dass allein das kleine Mädchen diese heftige Reaktion Balus hervorgerufen hatte. Sie hatte den gutmütigen Balu ja schon recht gut kennengelernt in der langen Zeit, wo wir uns kannten, und ihr war klar, dass sich der Hund nur verteidigt hatte. Balu hatte dem kleinen Mädchen vermutlich über den Kopf geschnappt oder seine Pfoten mit den Krallen benutzt, um sie abzuwehren, denn am Kopf des Kindes fand man blutende Kratz-Spuren, und in einem Ohr war ein kleines Loch. Das Blut am Kopf floss aufgrund der starken Durchblutung in diesem Bereich natürlich sofort schnell und reichlich, und die Aufregung der Aussenstehenden war logischerweise entsprechend gross, da das erst einmal furchterregend aussieht. Erst viel später erfuhren wir durch vorsichtige Gespräche mit dem kleinen Mädchen, dass sie versucht hatte, auf Balu zu reiten. Ganz offensichtlich muss ihm das so weh getan haben, was sie dabei unternommen hat, dass er zugepackt hat. Vielleicht hatte er ja auch vorher gedroht und geknurrt, und das Mädchen hat seine Warnung ignoriert. Was genau passiert ist, das lässt sich nicht nachvollziehen Niemals zuvor habe ich jedoch erlebt, dass Balu einen Menschen gebissen hat. Wenn ihm wirklich mal etwas unangenehm wurde, zog er sich einfach zurück, bzw. ging weg, oder er schrie einfach nur vor Schmerzen auf, wenn man ihm weh getan hatte. Nach einem Menschen geschnappt hat er dabei noch nie. Möglicherweise war ihm ein Rückzug in dieser Situation nicht möglich gewesen, oder das Aufklettern auf ihn war für ihn zu überraschend geschehen. Denn er hat ja absolutes Vertrauen zum Menschen, egal, was man mit ihm macht, er ist überzeugt, ihm wird ja nichts Böses oder Schmerzhaftes geschehen. Nicht nur sein früherer, auch der hiesige für Balu neue Tierarzt staunt immer, wie brav er sich bei allen Untersuchungen und Blutabnahmen, etc. verhält. Nie zeigte er einen Ansatz zur Verteidigung. Hunderte von Menschen und Kindern haben ihn schon berührt, geknufft und gestreichelt, und immer hat er alle Menschen, besonders die Kinder, absolut freundlich und liebevoll begrüsst. Dieser Vorfall zeigte auch mir wieder einmal deutlich, dass man nie etwas garantieren kann. Ein Hund bleibt eben, egal wie gut er erzogen ist und wie gut er in seinem Wesen, seinem Grundverhalten, ist, ein Lebewesen, dass durchaus in einer entsprechenden Situation entsprechend seiner Art reagieren kann. Wenn man einem Tier Schmerzen zufügt, dann ist selbst bei einem so gutmütigen Tier wie Balu damit zu rechnen, dass er verteidigend reagiert. An dieser Lektion mit den Folgen hatte die Familie, besonders das Familienoberhaupt, das bisher zu Hunden wenig Beziehung hatte, dann doch lange zu knabbern. Über die Tatsache, dass ein Hund sich im Notfall auch wehren kann, war sicherlich bisher nicht nachgedacht worden. Der so brave kuschelige Schmusebär war eben doch nicht nur ein lebloses Plüschtier, sondern konnte als Lebewesen reagieren. Verständlicherweise sass den Erwachsenen erst einmal die Angst im Nacken, dass sich so etwas wiederholen könnte. Ich bin heilfroh, dass meine Nachbarin so realistisch reagiert hat und Balu nicht dafür bestraft wurde, dass sich das Kind ihm gegenüber so falsch verhalten hat. Das Kind nahm das Ereignis dagegen viel normaler hin. Das Mädchen genoss es allerdings erst einmal aufgrund ihrer sichtbaren Wunden von allen so bedauert zu werden, und der Hund war eben der Böse, wie Papa das erst mal konstatierte. Dieser Zustand hielt aber nur wenige Tage an. Denn weil die Schwester weiterhin mit Balu spielte, wollte sie doch auch wieder beim gemeinsamen Spiel mitmachen, und so war Balu dann doch bald wieder der Freundliche, Nette. Wir erfuhren von der ganzen Geschichte erst, als wir aus dem Urlaub zurückkehrten, denn die Familie wollte uns nicht beunruhigen und uns den Urlaub nicht verderben. Doch es war nach diesem Vorfall klar, dass die Erwachsenen in den darauf folgenden Tagen und Wochen Balu mit Argusaugen beobachteten, um sicher zu sein, dass sich Derartiges nicht wiederholen würde. Und das war auch gut so, denn die Kleine hat es tatsächlich nach ein paar Tagen noch einmal versucht, auf Balu zu klettern. Diesmal konnte ihr die Mutter aber rechtzeitig die Leviten lesen. Dieser Vorfall zeigt deutlich, dass in einer Familie mit Hund immer auf die kleinen Kinder aufgepasst werden muss, niemals Kind und Hund ohne Aufsicht gelassen werden dürfen. Egal, wie gutmütig der Hund auch ist. Und die Kinder müssen angewiesen werden, wie sie sich einem Hund gegenüber zu verhalten haben. Denn auch ein Kind muss lernen, die Intimsphäre des anderen Lebewesens zu achten, muss lernen, dass auch Tiere mit Verteidigung reagieren können, wenn man ihnen Schmerzen zufügt. Man sieht, wie schnell etwas passieren kann, weil Kleinkinder, -trotz Erklärungen durch die Erwachsenen,- noch nicht in der Lage sind, das Tier immer richtig zu verstehen. Auch sie müssen es erst lernen, Tiere entsprechend artgerecht zu behandeln, und manche Kinder müssen das leider erst schmerzhaft durch eigene Erfahrung lernen. Da Kinder, genau wie junge Hunde und andere junge Lebewesen, aus Erfahrung lernen, ist es so wichtig, wenn das kontrolliert unter Aufsicht der Erwachsenen geschieht. Ich hätte gewünscht, dass dem kleinen Mädchen diese harte Erfahrung erspart geblieben wäre. Ich kann nur hoffen, dass sie gelernt hat, dass es eben auch beim Hund Grenzen seiner Gutmütigkeit gibt.
Interessant waren für mich die erstaunlich häufigen Reaktionen von Freunden und Bekannten, wenn ich ihnen von diesem Vorfall erzählte. Denn sie berichteten mir von sich oder Freunden, die auch in der Kindheit von einem Hund in dieser oder ähnlicher Form gemassregelt worden waren. Eine natürliche Reaktion, die diese durchaus als normal und lehrreich ansahen. Vermutlich gibt es mehr Vorfälle dieser Art, über die aber normalerweise gar nicht gesprochen wird. Entweder, weil es eben unter “normal” und “gerecht” abgehakt wird oder heutzutage vielleicht auch aus Angst darüber, dass dieser Hund dann möglicherweise sofort als gefährlicher Kampfhund eingestuft wird.
Meine Erfahrung ist auch, dass viele Menschen, selbst langjährige Hundehalter, oft gar nicht in der Lage sind, eine Aggression eines Hundes richtig einzuordnen. Sie können bei einem Hund den Unterschied zwischen einem Angriff und einer Verteidigung gar nicht erkennen. Beissen wird von ihnen generell als bösartig eingestuft, das Tier zu einer Marionette degradiert. Vielleicht leben wir doch bald nur noch mit den künstlichen Tieren der Computerspiele, die können uns nicht tatsächlich gefährlich werden.....
Balu jedenfalls war glücklich, uns nach unserer Rückkehr aus dem Urlaub wieder zu sehen und kehrte seiner Gastfamilie sofort den Rücken, um mit uns nach Hause zu gehen. Allerdings schaute er in den nächsten Tagen oft weinend zum Nachbargrundstück, besonders, wenn er die Stimmen der Mädchen hörte. Die Liebe zwischen den Mädchen und Balu hat zum Glück unter diesem unangenehmen Vorfall nicht gelitten, und sie sind weiterhin gerne zusammen, um zu spielen oder einfach nur spazieren zu gehen.
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